Während der nächsten 10 Tage versuchten wir alternative Wege über den Fluss zu finden. Wir dachten sogar
daran, die Pferde über den Gletscher zu führen. Neun Stunden marschierten wir über das Eis und fanden
schließlich eine Route, auf der wir die Gletscherspalten umgehen konnten. Doch wir mussten auch diese
Option fallen lassen, denn der Zustieg zum Gletscher war mit Pferden nicht verantwortbar.
Erfreulicherweise ging aber der Wasserspiegel des Nabesna ging deutlich zurück. Schotterinseln tauchten auf
und teilten den Fluss in zahlreiche Kanäle. Während der nächsten Tage versuchten wir noch zwei weitere Male
den Fluss zu queren. Beim zweiten Mal schafften wir es sogar bis fast in die Mitte des breiten Flussbettes,
doch jedes Mal mussten wir wieder umkehren. Die Strömung war zu stark, das Wasser zu tief und vor allem
viel zu kalt. Wir durften von den Pferden nicht zu viel verlangen, denn in dem kalten Wasser, in dem Menschen
nur kurze Zeit überleben können, können auch Pferde in ernsthafte Schwierigkeiten geraten.
Es bestand kaum Hoffnung, dass der Wasserspiegel noch weiter sinken würde, denn es hatte wieder begonnen
zu regnen. So trafen wir schließlich die schwere Entscheidung zurückzugehen. Es gab keinen anderen Weg
aus dem Gebiet, als wieder über die grüne Grenze nach Kanada zu reiten. Dort würden wir einen alternativen
Weg finden, um an das andere Ufer des Nabesna Rivers zu gelangen und die Reise fortzusetzen.
Es war das erste Mal auf Günters gesamter Reise, dass er umkehren musste. Einer der Gründe
für diese Entscheidung war wohl ich. Denn Günter fühlte sich nicht nur für seine Tiere, sondern auch für mich
verantwortlich. Wäre ich nicht dabei gewesen, hätte er es wohl noch einmal probiert. Vielleicht aber war es
gar nicht so schlecht, dass ich dabei war. Manchmal reicht wohl schon die Anwesenheit einer Frau,
dass Männer die klügeren Entscheidungen treffen.
Es fiel uns beiden sehr, sehr schwer umzukehren und zurückzureiten. Nur den Pferden schien es nichts
auszumachen, sie kannten nun die Strecke, wussten was auf sie zukommt und in nur acht Tagen hatten wir
denselben Weg zurückgelegt, für den wir zuvor drei Wochen benötigt hatten.
Günter organisierte unseren Truck und Trailer, wir machten einen weiten Umweg auf der Straße und standen
ein paar Tage später auf der anderen Seite des Nabesna.
Mittlerweile hatte die Jagdsaison in Alaska begonnen. Viele Alaskaner decken ihren Fleischbedarf nicht im
Supermarkt, sondern schießen ihr Wild selbst. Vor allem Karibus – nordamerikanische Rentiere – und Elche
werden gejagt. In diesem Jahr wurden 15.000 Abschusszertifikate für Karibus in Alaska vergeben.
Irgendwie hatte ich mir die Jagd immer anders vorgestellt. In den ersten Tagen der Jagdsaison begegneten
uns zahlreiche Jäger mit überdachten Allradfahrzeugen, die mich an Golfcarts erinnerten. Sie fuhren auf den
Trails auf- und ab und warteten darauf, dass ihnen ein Karibu über den Weg läuft. Doch von den Tieren war
weit und breit keine Spur zu sehen. Auch wenn die Jäger sehr rücksichtsvoll waren (Zitat: „Da war ein Karibu-Bulle direkt hinter euch, aber weil
ihr da wart, habe ich nicht geschossen“), und höfliche Versuche unternahmen, Konversation zu treiben
(da sagte doch glatt einer der Jäger zu mir: „Du siehst aus wie ein Schwarzbär“!), beschlossen wir ihnen
lieber aus dem Weg zu gehen. Wir verließen die gemütlichen Trails und ritten wieder quer durch
die Wildnis Richtung Nordwesten. Und erstaunlicherweise waren plötzlich überall Karibus zu sehen. Sie begegneten uns in Herden von bis zu
30 Tieren. Karibus sind neugierige Tiere und haben keine Angst vor Pferden. So bekamen wir sie immer wieder
aus nächster Nähe zu sehen. Auch Elche sahen wir, große Bullen deren imposantes Geweih aus dem Gebüsch
ragte und Elchkühe mit ihren Jungen. Diese Baby-Elche sind so unglaublich putzig, wie sie ungeschickt hinter
ihren Müttern herstapfen.
Wölfe und Grizzlybären sahen wir, wie schon in den Jahren zuvor, meist nur aus großer Entfernung. Sobald sie
unsere Witterung aufnahmen, waren sie verschwunden. Auf unserer letzten Etappe durch den Denali
Nationalpark hatte ich allerdings das erste Mal auf der Reise den Bärspray schussbereit in der Hand.
Ein großer silber-grauer Grizzly stand keine 25 Meter von uns entfernt und schnupperte neugierig in unsere
Richtung. Wir hatten gerade Pause gemacht, als der große Braunbär aus dem Flussbett auftauchte. Er war
weder aggressiv, nur neugierig. Mit einer Hand hielt ich Leni fest an mich gedrückt, in der anderen Rustys Zügel.
Rusty starrte den Bären einen Moment lang an, dann graste er einfach weiter. Ein Bär kann unsere Pferde
schon lange nicht mehr aus der Ruhe bringen. Wir aber waren heilfroh, als er schließlich doch die andere
Richtung einschlug.
Man hatte eine besondere Ausnahme für uns gemacht: normalerweise sind Hunde im Denali Nationalpark nicht
erlaubt, Leni aber durfte mit! So konnte das gesamte Team die letzten hundert Kilometer der Reise gemeinsam
erleben. Noch einmal ritten wir durch unberührte Wildnis und vorbei am höchsten Berg Nordamerikas. Während
der letzten Tage fiel bereits der erste Schnee. Und so wie der Sommer hier in Alaska langsam ausklingt, geht
auch unsere Reise zu Ende.
Während der letzten Tage fegte ein Sturm über uns hinweg, dass ich mich am Sattelhorn festklammerte, um
nicht vom Pferd geweht zu werden. „Wie in Patagonien!“, rief Günter. War das nun Zufall, dass die Reise endete
wie sie begann: mit stürmischem Wind? Der Wind blieb uns auch auf dem letzten, steilen Anstieg treu.
Oben auf dem Gipfel der Bergkette sollten wir unser Ziel, das Dörfchen Healy bereits erkennen können, auch
wenn wir es an diesem Tag nicht mehr erreichen würden. Leichter Regen hatte sich zum Wind gesellt und
machte das Unterwegssein ungemütlich. Wir kämpften uns vorwärts, überschritten den Grat und …
waren sprachlos. Vor uns lag Healy, umrahmt von einem Regenbogen.
„Willkommen am Ziel“, flüsterte ich ehrfurchtsvoll, denn es war kein Moment lauter Worte.
Einen schöneren Zieleinlauf hätten wir uns nicht wünschen können.
Wie geht es weiter?
Schon bald werden wir uns auf den langen Weg nach Süden machen, denn einen Winter in Alaska wollen
wir unseren Pferden nicht zumuten. Sie werden die nächsten Monate auf einer großen Weide bei unseren
Freunden in BC, Kanada verbringen, während wir Vorträge über unsere Reise halten werden.
Wie es danach weiter geht ist noch offen. Doch wer so ein Leben führt wie wir, dem gehen die Ideen nicht
aus. Doch eines ist sicher - wir werden auch weiterhin mit unseren Pferden unterwegs sein.
Vorerst aber freuen wir uns darauf, ab Januar 2014 gleich mit zwei neuen Vorträgen in Deutschland,
Österreich und der Schweiz auf Tournee zu gehen:
Wer nicht mehr so lange auf Neuigkeiten von uns warten möchte, für den gibt es demnächst ein neues
Buch. Wir arbeiten mit Begeisterung an den letzten Seiten, dem Kapitel über Alaska:
Abenteuer-Reiter - Mit Pferden von Feuerland bis Alaska
Günters 20jährige Reise mit all ihren Fassetten und Eindrücken in einem einzigen Buch zu verpacken,
stellte uns vor eine große Herausforderung. Wir denken das Ergebnis ist ein außergewöhnliches Buch
über eine ungewöhnliche Reise.
Auf 320 Seiten haben wir 550 Bilder und 23 Kurzgeschichten zusammengestellt, die ein stimmungsvolles
Portrait dieser spannenden Reise präsentieren. In persönlichen Texten erzählt Günter humorvolle und
berührende Geschichten von unterwegs und gibt Antwort auf die Frage, wie man auf die Idee kommt,
so eine Reise zu unternehmen.
Weitere Informationen findet Ihr auf unserer Homepage www.abenteuerreiter.de.
Wir freuen uns schon, viele von Euch auf unseren Vorträgen zu sehen!
Always happy Trails
Sonja & Günter
www.abenteuerreiter.de
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